Stellungnahme des Arbeitskreises kritische Umweltpsychologie KUP zum Krieg inPalästina/Israel

Wir sind eine in Deutschland lokalisierte ehrenamtlich engagierte Gruppe, deren Schwerpunkt in der Erarbeitung einer kritischen Perspektive in der Umweltpsychologie liegt. Dabei versuchen wir, den Begriff kritische Umweltpsychologie so weit wie möglich zu fassen. Dies beinhaltet unter anderem auch globale Perspektiven, Ansätze der kritischen Psychologie und der kritischen Sozialwissenschaften, dekoloniale, feministische und intersektionale Sichtweisen, sowie Ansätze von praktisch und aktivistisch arbeitenden Menschen aus dem Bereich emanzipatorischer sozialer Basis-Bewegungen und NGOs. Wir versuchen sowohl inter- als auch transdisziplinär zu arbeiten und auch die Prozess- und Beziehungsebene zu berücksichtigen. Um diesen integralen Ansprüchen gerecht zu werden, bewegen wir uns immer wieder am Rande unserer begrenzten Kapazitäten. Auch damit versuchen wir umzugehen.

Als rein weiße, privilegierte Gruppe mit ausschließlich deutscher Herkunft sehen wir es trotz der Widersprüchlichkeiten auch als unsere Verantwortung an, zum aktuellen Krieg in Palästina/Israel Stellung zu beziehen. Zum einen, da wir es grundsätzlich wichtig finden, Kritik zu üben an einer deutschen Politik, die zu massiver Gewalt und Leid beiträgt – hier spielen nicht zuletzt die anhaltenden Waffenlieferungen eine Rolle- und zum anderen da wir in unserer Arbeit grundsätzlich Ungerechtigkeiten und menschenfeindliche Haltungen und Politiken anprangern wollen – hier tritt für uns die Entmenschlichung von und das Ausmaß der Gewalt gegenüber Palästinenser:innen in Gaza und jüdischen Zivilist:innen in einer asymmetrischen Kriegsführung besonders hervor. Zugleich blicken wir auch mit Erschrecken auf zunehmende judenfeindliche Äußerungen und die Infragestellungen des Existenzrechts Israels und auf rassistische Anfeindungen gegenüber Palästinenser:innen.

Um eine Positionierung mit unseren Kapazitäten in Einklang zu bringen, wollen wir uns auf die Frage konzentrieren, welche Perspektiven, Schritte und Forderungen eine konkrete Verringerung von physischem und psychischem Leid aller in Palästina/Israel lebenden Menschen bewirken können. Dies bedeutet auch, dass wir für diese Erklärung bewusst alle zum Teil umstrittenen Begrifflichkeiten, die in Zusammenhang mit dem Krieg bestehen, zunächst außen vor lassen. Wir sind uns sehr wohl der Relevanz der komplexen historischen und aktuellen Hintergründe dieses kriegerischen Konfliktes bewusst. Ebenso wie der Notwendigkeit, eine friedliche und gerechte Zukunftsperspektive für alle zu erarbeiten, wozu wir an dieser Stelle und aus unserer Positionierung heraus nur einen sehr geringen Beitrag leisten können.

Auch die zugespitzte Debatte in Deutschland bereitet uns Sorgen. Aus unserer Sicht könnte sie sich unter anderem auch aus der bis heute nur unzureichenden psychologischen und emotionalen Aufarbeitung deutscher Schuld am Holocaust erklären. Nicht nur hat dies eine Empathielosigkeit mit von Antisemitismus Betroffenen zur Folge (hierauf haben die Mitscherlichs in Ihrem Werk „Die Unfähigkeit zu Trauern“ bereits in der Nachkriegszeit hingewiesen), sondern die emotionale Abwehr der Schuld bei gleichzeitigem (internationalen) Druck zur Anerkennung der realen Schuld kann zur Folge haben, dass eine differenzierte Betrachtung der Geschehnisse und eine Anerkennung des Leids auf beiden Seiten des Konflikts zu herausfordernd erscheint. Stattdessen findet sowohl ein zunehmender Antisemitismus in Deutschland Raum als auch eine unkritische Haltung gegenüber einer in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung mit ihrer aggressiven Kriegsführung und deren anscheinend de facto uneingeschränkte Unterstützung durch Deutschland. Dies hat unter Anderem zur Folge, dass Menschen und Gruppen, die die israelische Kriegsführung kritisieren und sich z.B. für einen einen Waffenstillstand einsetzen als antisemitisch diskreditiert und teilweise kriminalisiert werden. Dies betrifft vor allem palästinensische und jüdische/israelische Menschen, die sich – zum Teil auch gemeinsam – kritisch äußern und die sich nun mit zunehmender Repression und antipalästinensischem sowie antimuslimischem Rassismus konfrontiert sehen.

Für uns bedeutet eine gesellschaftlich notwendige und tiefgehende Auseinandersetzung mit der historischen deutschen Schuld am Holocaust unter Anderem also eine empathische Anerkennung des Leids aller – seien es die Opfer des terroristischen Anschlags der Hamas am 07. Oktober und die Geiseln ebenso wie die Opfer der israelischen Politik und Kriegsführung. Wir unterstützen alle Aktivitäten, die sich für eine friedliche, gerechte und gleichberechtigte Konfliktlösungen einsetzen. Dies gilt auch für die vielen anderen globalen Konfliktherde, wie z.B. in der Ukraine, dem Sudan und in Kurdistan, um nur einige wenige zu nennen. Wir solidarisieren uns mit allen Unterdrückten, an Hunger, Ausbeutung, Naturzerstörung und Diskriminierung leidenden Menschen weltweit.

Speziell in Deutschland wurden und werden zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Palästina/Israel abgesagt und es gibt kaum öffentliche Austauschräume. Wir sehen es als sehr problematisch an, dass gerade im akademischen Feld, aber auch darüber hinaus solche Räume systematisch beschränkt werden und kritisch Referierende z.B. in ihrem beruflichen Werdegang bedroht sind. Diesem pauschalen Silencing von kritischen Menschen und Positionen begegnen wir, wenn auch in (noch) geringerem Maße, bei unserem Versuch, kritische Stimmen in den Umweltpsychologien zu etablieren. Wir denken, dass auch hier politische und psychologische Ausgrenzungs-, Verleugnungs- und Verdrängungsmechanismen von kritisch- progressiven Ansätzen im Bereich Umwelt/Klima und Biodiversitätsschutz wirken. Für die Dominanzgesellschaft unbequeme Wahrheiten werden abgewehrt, beispielsweise die imperiale Lebensweise und koloniale Verwicklungen in der Polykrise, was zu einem für Mensch und Natur zerstörerischen „Weiter so“ führt.

Dem wollen wir mit der Veröffentlichung unserer Forderungen zum Krieg in Palästina/Israel und unserer Arbeit am Thema kritische Umweltpsychologie im Allgemeinen entgegenwirken.

Im Namen einer Alle und Alles einschließenden Menschlichkeit halten wir aktuell folgende Forderungen für essentiell:

  • Sofortiger dauerhafter Waffenstillstand!
  • Sofortige Freilassung aller Geiseln!
  • Sofortige Beendigung der Blockade des Gazastreifens!
  • Sofortiger Stopp der Besiedlung der Westbank!

Wir erachten alle Forderungen grundsätzlich als gleich wichtig, und alle müssen gleichzeitig erfüllt werden. Zu bedenken ist allerdings, dass es ohne einen dauerhaften Waffenstillstand wohl auch keine Fortschritte bei den anderen Forderungen geben wird.

Diese Forderungen stehen für uns im Einklang mit der Zukunftsvision von Edward Said: «Wir müssen unsere Geschichte zusammen denken, so schwierig das sein mag, damit es eine gemeinsame Zukunft geben kann. Und diese Zukunft muss Araber[:innen] und J[üd:innen] in gleicher Weise einschließen, frei von allen Vorstellungen, die darauf abzielen, die eine oder andere Seite zu missachten oder theoretisch oder politisch auszuschließen. Darin liegt die eigentliche Aufgabe. Der Rest ist dann vergleichsweise einfach.» (Said 2002, 154 f.)

Arbeitskreis kritische Umweltpsychologie in der Initiative Psychologie im Umweltschutz Juni, 2024


Literaturverzeichnis
Mitscherlich, Alexander & Mitscherlich, Margarete ([1967] 1987). Die Unfähigkeit zu Trauern. München: R-Piper & Co. Verlag.

Said, Edward (2002): Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach, Berlin: Berlin-Verlag. https://www.rosalux.de/news/id/45195/edward-said-das-ende-des-friedensprozesses-berlin-2002 (abgerufen 26.05.2024)

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